Kreiszeitung/Böblinger Bote - 3.Dezember 2001

Suche nach Ausweg aus der Gewaltspirale

Ex-OB Joachim Rücker diskutierte

Sindelfingen - Dr. Joachim Rücker, Stellvertreter des Hohen Vertreters der Internationalen Staatengemeinschaft in Bosnien-Herzegowina, und der Genfer Journalist Andreas Zumach diskutierten am Freitag vor 50 im Schubartsaal versammelten Gästen über Möglichkeiten der Konfliktbearbeitung.

VON VOLKER HELD

Die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) im Kreis Böblingen hatte die Veranstaltung organisiert und die Gesprächspartner vor eine grundsätzliche Frage gestellt: „Gibt es einen Ausweg aus der Gewaltspirale?"

Rücker, für den die Veranstaltung der erste öffentliche Auftritt in Sindelfingen seit seinem Wechsel nach Srebrenica war, erklärte, dass der mit dem Vertrag von Dayton im November 1995 beendete Balkankrieg das tägliche Leben in Bosnien-Herzegowina bis heute relativ stark prägt. Das sehe man an den sich gegenüber stehenden „Entitäten", womit Rücker die Serbenrepublik und die muslimisch-kroatische Föderation meinte.


Andreas Zumach, Axel Graser und Joachim Rücker (von links) diskutieren über Gewalt
KRZ-Foto: Thomas Bischof

Andreas Zumach wagte die These, dass der Balkankrieg durch eine kluge, rechtzeitige, auf wirtschaftliche Förderung beruhende Politik der damaligen EG zu vermeiden gewesen wäre, gab aber zu: „Beweisen kann ich hier überhaupt nichts."
Bei drohendem oder beginnendem Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit hält Zumach robuste UNO-Einsätze für vereinbar mit dem Pazifismus. „Gewalt auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen ist als letztes Mittel nicht auszuschließen" so Rücker, der einen früheren Einsatz der Staatengemeinschaft mit politischen und militärischen Mitteln befürwortete. Das Motto „Frieden schaffen mit Waffen" des Maichinger SWR-Rundfunk-Journalisten Axel Graser, der das Gespräch moderierte, war Rücker aber „zu plakativ".

Zumach will die nicht-militärische Konfliktbewältigung von der Früherkennung bis zur Nachsorge stärken und kritisierte, dass diese in der Außen- und Sicherheitspolitik eine untergeordnete Rolle spiele. Das befand Rücker als „vollkommen richtig".
„Die UNO ist so stark und so schwach wie ihre Mitgliedsstaaten", gab Zumach zu bedenken. Grasers These, dass die UNO ein zahnloser Tiger sei, widersprach Rücker, der in den Kriegsverbrechertribunalen einen Riesen-Fortschritt sieht. Rücker will die UNO weiter stärken. Dem stimmte auch Andreas Zumach zu, der die Verfolgung der Terroristen in Afghanistan unter das Dach der UNO gestellt hätte. „Idealerweise wäre das besser gewesen", bestätige Rücker, befand aber auch die Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht als in Ordnung.

Der ehemalige Sindelfinger OB will über eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäer ein Gegengewicht" zur amerikanischen Politik erreichen. Zumach wehrte sich dagegen, dass dafür ein gemeinsames militärisches Instrument nötig sei. Zur Vorbeugung von Terrorismus seien Militäräktionen nicht geeignet, sagte Zumach: Da er im Nord-Süd-Gefälle eine „Brutstätte, des künftigen Terrorismus" sieht, plädierte er für politische Lösungen. Beide Gesprächspartner waren sich darin einig, dass im Bereich der Agrarpolitik gravierende Änderungen nötig sind, um die Nahrungsmittel Versorgung aller Menschen zu gewährleisten.